Die historische Entstehung der Intellektik

Kein anderes Thema hat die Denker aller Zeiten seit Jahrtausenden mehr bewegt als die Fragen nach dem Geist und der Seele des Menschen. Was sind das, Geist und Seele? Wie hängen Leib und Seele zusammen? Wie denken und fühlen wir? Das sind nur einige der unzähligen Fragen, die sich Menschen zu allen Zeiten gestellt haben -- und noch immer stellen -- und die alle um die Grundfrage "Was ist Geist?" kreisen.

Diese Grundfrage gehört dementsprechend auch zu den fundamentalsten Fragestellungen der Wissenschaften. Sie hat mindestens den gleichen Bedeutungsrang wie "Was ist Materie?" oder "Was ist Leben?". All diese drei Fundamentalfragen sind bis heute nicht letztgültig beantwortet, am wenigsten jedoch die nach dem Geist.

Während nämlich die Naturwissenschaften Physik und Biologie mit Experimenten untermauerte, begrifflich präzise und mathematisch formulierte Theoriegebäude erstellt haben, die die Begriffe Materie und Leben recht weitgehend eingrenzen, ist es der sich für den Geistesbegriff zuständig erklärenden Disziplin Philosophie bis heute nicht gelungen, wirklich erkennbare Fortschritte in dieser Richtung zu erzielen. Dabei ist das Thema immerhin seit Platon und Aristoteles über Descartes, Kant und Hegel bis heute intensivst studiert worden und füllt mit den darüber verfassten Schriften ganze Bibliotheken. Nur Klassiker darunter -- wie beispielsweise der Phaidon von Platon oder das Seelenbuch von Aristoteles -- erscheinen einem wegen ihrer bis heute spürbaren intellektuellen Frische überhaupt noch als lesbar.

Mitte letzten Jahrhunderts setzte jedoch mit der Erfindung des universellen Komputers eine Entwicklung ein, die mit der Disziplin Philosophie unmittelbar absolut nichts zu tun hatte und deren Tragweite sich die Philosophie erst so langsam bewusst wird. Die Komputerwissenschaftler der ersten Stunde wie Zuse, Turing, von Neumann und viele andere hatten sofort die Relevanz des dem Komputer zugrundeliegenden Denkparadigmas für jene Fundamentalfrage nach dem Geist erkannt. Von diesen war es dann Alan Turing, der diese Relevanz in einem bis heute grundlegenden Artikel ("Computing Machinery and Intelligence") 1950 im Einzelnen ausgeführt hat. Um diese Gedanken herum hat sich schließlich im Jahre 1956 eine neue Disziplin konstituiert.

Als Name für diese neue Disziplin hat sich in den angelsächsischen Ländern Artificial Intelligence eingebürgert. Weil die wörtliche Übersetzung Künstliche Intelligenz (KI) im Deutschen eine andere und weniger adäquate Bedeutung als der englische Terminus hat und aus linguistischen Gründen für eine Gebietsbezeichnung ohnehin nicht wirklich taugt, wurde 1980 [1] stattdessen Intellektik vorgeschlagen, ein Begriff, der 1992 [2] Eingang in das führende Lexikon des Gebiets gefunden hat. Ende der Siebziger Jahre formierte sich aus der KI heraus die Kognitionswissenschaft und die KI fokussierte immer stärker auf ihren informatisch-technischen Teil, so dass Intellektik heute als die Vereinigung von KI und Kognitionswissenschaft(en) angesehen wird. Intellektiker ist danach jeder Wissenschaftler, dessen Forschungsgegenstände intelligente -- technische oder biologische -- Systeme unter den Gesichtspunkten des Komputationalismus sind, auf den im nächsten Abschnitt noch genauer eingegangen wird.

Die Intellektik hat nicht nur eine in der Geschichte der technologischen Entwicklung nie dagewesene Erfolgsbilanz aufzuweisen, sondern auch in den vormals philosophischen Fragestellungen rund um den Geistesbegriff erstmals echte Fortschritte erzielen können. Dieser Erfolg eines jungen, respektlosen, aber eben unübersehbar erfolgreichen Konkurrenten im ureigensten Terrain musste die altehrwürdige Philosophie wie ein Schock treffen. So schreibt ein Philosoph über die KI: "Besonders einige Philosophen versetzt sie in Aufregung." LaForte et al. beschreiben die Reaktionen auf das Projekt KI deutlich drastischer und damit nach meiner persönlichen Erfahrung zutreffender.

"This project produces in some a reaction of revulsion, even horror. Indeed, the spectre of artificial intelligence has inspired many of the world's scholars to engage in rituals of exorcism -- their goal being the banishing of this spirit to the mechanistic netherworld from which it came."

Dieses Zitat beschränkt sich zurecht nicht auf die Philosophie allein, da die vom Wesen her interdisziplinär angelegte Intellektik das Potenzial zur radikalen Veränderung der Forschungsmethoden in vielen anderen Disziplinen hat. Der Komputationalismus, auf dem die Intellektik beruht, ist ein revolutionärer Denkansatz von ähnlich großer Tragweite wie der Galileische Ansatz, der die Naturwissenschaften begründete, oder wie die Evolutionstheorie von Darwin, die bis heute das wissenschaftliche Weltbild entscheidend prägt. Jede derart tiefgreifende wissenschaftliche Revolution hat zu heftigsten Reaktionen geführt. Eine durchgreifende Idee hat sich wohl aber noch nie verhindern lassen. So ist auch die Intellektik in allerersten Ansätzen bereits dabei, mit ihrer Methodik alle Geistes- und Sozialwissenschaften zu revolutionieren, insbesondere zu exakten Wissenschaften im naturwissenschaftlichen Verständnis zu machen. Das Buch Lehren vom Leben [3] beschreibt u.a. die damit zusammenhängende Perspektive.

Der Stand der Kunst in der Intellektik ist trotz der großen Erfolge angesichts der noch ungelösten Probleme durchaus noch als rudimentär zu bezeichnen. Die im K"orper an den genannten Phänomenen beteiligten Systeme -- allen voran das Gehirn -- sind derart komplex, dass ein tieferes Verständnis vielleicht noch Jahrhunderte an Forschung erfordern wird. Angesichts dieser unvorstellbaren Komplexität ist es schon erstaunlich, dass nach relativ kurzer Zeit von etwas mehr als einem halben Jahrhundert (entsprechend einer eher willkürlichen Festlegung seiner Entstehung) überhaupt schon ein zusammenhängendes Bild skizzierbar ist.

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