Charakterisierung der Intellektik als Disziplin

Jede wissenschaftliche Disziplin ist durch ihr Forschungsziel und ihre Forschungsmethodik charakterisiert. Das Ziel der Intellektik ist -- kurz gesagt -- ein wissenschaftliches Verständnis des Intellekts. Statt vom Intellekt können wir (in diesem Zusammenhang) synonym auch von Geist und Psyche sprechen. Der Gegenstand der wissenschaftlichen Untersuchung in der Intellektik ist also alles, was mit Geist und Psyche im Zusammenhang steht. Dazu gehören dann beispielsweise auch ein Verständnis von Intelligenz, Wahrnehmung, Gedächtnis, Intentionalität, Bewusstsein, freier Wille, Gefühle, Persönlichkeit usw.

Die grundlegende Forschungsmethodik der Intellektik ist durch die Arbeitshypothese des (von Newell und Simon formulierten) Komputationalismus charakterisiert. Der Komputationalismus besagt, dass alle geistig-psychischen Phänomene auf einer bestimmten Abstraktionsebene als informationsverarbeitende, komputationale Prozesse verstanden werden können. Mit der Erfindung des universellen Komputers steht uns ein Werkzeug zur Verfügung, auf dem wir alle informationsverarbeitenden Prozesse modellieren können. Im Sinne des Komputationalismus erfordert die Theoriebildung in der Intellektik zu ihrer Validierung Experimente mit solchen Komputermodellen. Insoweit ist ihre Entwicklung eng mit derjenigen der Informationstechnologie (IT) verknüpft.

Die so gegebene Charakterisierung bedarf für den Uneingeweihten noch einer Reihe weiterer Erläuterungen der darin verwendeten Begriffe wie "wissenschaftlich", "Arbeitshypothese", "Abstraktionsebene", "informationsverarbeitender Prozess", "universeller Komputer", "modellieren" usw. Es ist hier nicht der Ort, diese vorwiegend informatischen Begriffe genauer zu definieren. Wir beschränken uns daher nur auf wenige Anmerkungen dazu. Vor allem sei auf den in der Charakterisierung beschriebenen experimentellen Charakter bei der Theoriebildung in der Intellektik hingewiesen, der hier die analoge Funktion wie in den Naturwissenschaften hat; nur eine experimentell bestätigte Theorie ist letztlich akzeptabel.

Weiter betonen wir auch hier den Charakter des Komputationalismus als Arbeitshypothese, der oft missverstanden wird. (Arbeitshypo-) Thesen werden als Richtlinie für die Forschungsarbeit zugrundegelegt und nicht etwa "behauptet"; ob sie wahr oder falsch sind, wird offengelassen.

In diesen beiden Punkten der experimentellen Begründung und des komputationalen Ansatzes unterscheidet sich die Intellektik ganz wesentlich von den Geistes- und Sozialwissenschaften herkömmlicher Prägung, die aus unserer Sicht keine Wissenschaften in dem hier geforderten strengen Sinne sind. Sie befinden sich aber bereits mitten in der Umbruchphase, so dass eine Reihe ihrer Wissenschaftler schon eindeutig zur Intellektik zu rechnen sind.

Der experimentelle Teil der Intellektik hat eine ungeheure Eigendynamik entwickelt, weil die entstehenden Komputersysteme nicht nur eine Bedeutung im Hinblick auf das Fernziel der Intellektik haben, sondern in den meisten Fällen auch von größter praktischer Bedeutung sind. Derartige Systeme prägen unser Leben bereits in einer signifikanten Weise, oft ohne wirklich wahrgenommen zu werden, und finden Anwendungen in den unterschiedlichsten Bereichen vom Automobilbau über die Finanzwirtschaft bis zum Haushaltsgerät. Es ist daher nur allzu verständlich, dass die Mehrzahl der Intellektiker den Nutzen ihrer Arbeit vorrangig in diesen praktischen Anwendungen sehen und dabei das Gesamtziel der Intellektik gern aus den Augen verlieren. Genau aus diesem Grunde hat es den oben bereits erwähnten Formierungsprozess der Kognitionswissenschaft und die Bedeutungseinengung des KI-Begriffs auf diesen praktischen Teil gegeben. Es ist aber in beiden Lagern wohl immer noch Konsens, dass letztlich nur ein vereintes Vorgehen den angestrebten langfristigen Erfolg über die täglichen Partikularerfolge hinaus bringen werden. Methodologisch verwenden ohnehin alle das gleiche Instrumentarium.

Zu diesem Instrumentarium gehören eine Vielzahl formaler Konzepte, die meist aus anderen Disziplinen entlehnt wurden, in der Intellektik dann aber oft eine intensive Weiterentwicklung, vor allem eine Präzisierung erfuhren, die der Modellierung in Form von Komputerprogrammen gerecht wird. Es ist natürlich völlig unmöglich, hier in irgendwelche Details dieser Konzepte zu gehen, die etwa in dem Lehrbuch von Russell und Norvig auf nahezu eintausend Seiten ausgebreitet sind. Davon sei hier nur eine allererste grobe Vorstellung vermittelt.

Im Hinblick auf das Ziel der Intellektik ist es natürlich, ihren konzeptuellen Apparat anhand der abstrakten Modellierung eines menschlichen Akteurs in einer Umwelt mit vielen anderen Akteuren zu strukturieren, wie es in dem genannten Lehrbuch konsequent durchgeführt ist und weshalb dieses sich als "The Intelligent Agent Book" bezeichnet. Ein solcher (modellierter) Akteur nimmt über seinen sensorischen Apparat aus der Umwelt (zu der auch die eigene Körperlichkeit gehört) Wahrnehmungen auf, deren Verarbeitung zu einer inneren "Vorstellung" vom gegenwärtigen Zustand der Welt führt. In dieser Vorstellung sind natürlich auch frühere Wahrnehmungen und Erfahrungen repräsentiert. Auch hat der Akteur Kenntnisse über mögliche Auswirkungen des ihm zur Verfügung stehenden Aktionsrepertoires. So kann er "überlegen", welche unter diesen Aktionen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zu Veränderungen führen, die den aufgrund seiner Wertvorstellungen eingeschätzten Nutzen für ihn maximieren. Aus den Wahrnehmungen nach der Ausführung der ausgewählten Aktionen kann er auch Schlüsse ziehen, die zu einem Lernverhalten im Hinblick auf künftige Aktionen führen.

Diese letzten fünf Sätze beschreiben das Konzentrat des Forschungsprogramms der Intellektik. Dahinter verbergen sich die fast tausend Seiten dieses Lehrbuchs und der inzwischen unermesslichen Literatur dieses erfolgreichen Gebietes, in der diese vage Beschreibung in mathematisch präzisen Begriffen so weit formalisiert ist, dass sie sich unmittelbar in Komputersystemen modellieren lässt. Deren Verhalten lässt sich dann mit dem Verhalten menschlicher Akteure messen. Je größer die Übereinstimmung, umso überzeugender ist die zugrundeliegende Theorie. Die Forschungsaufgabe besteht dann jeweils darin, noch vorhandene Diskrepanzen durch Verfeinerungen der Theorie zu verringern.

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